Ausgrabungen
Entdeckung und Wiederentdeckung
Der Galgenberg verdankt seine Entdeckung als altsteinzeitlicher Fundplatz dem Forscher Emil Weinfurter, der 1942 an der Böschung eines am Nordhang gelegenen Hohlweges Artefakte und Tierknochen gefunden hatte. Er schätzte deren Alter auf rund 30.000 Jahre und veröffentlichte sie 1950 in einer Fachzeitschrift. Darauf geriet die Fundstelle wieder in Vergessenheit.
Im Sommer des Jahres 1985 wurde auf der Anhöhe des Galgenberges eine Baugrube für einen Hochbehälter der Kremser Wasserwerke ausgehoben. Hiebei durchstieß man diese Fundschichten und förderte Knochen und Steingeräte zutage. Davon wurde Johannes-W. Neugebauer, Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes, in Kenntnis gesetzt, der sofort die große Bedeutung dieser Stelle erkannte. Noch in den Monaten September und Oktober desselben Jahres führte er an der Baugrubensohle die ersten Rettungsgrabungen durch.
Ausgrabungen und Sensationsfund
Ab 1986 übernahm im Auftrage des Bundesdenkmalamtes Chr. Neugebauer-Maresch die Fortführung der Arbeiten. An der Finanzierung und Bearbeitung beteiligten sich weiters das Naturhistorische Museum Wien, das Land Niederösterreich sowie der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Seit 1999 werden die Arbeiten seitens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften organisiert.
Es wurden zunächst ein Teil des Vorplatzes des Wasserwerkes, in den Folgejahren – vor dem Tiefpflügen, wie es im Zuge von Neuaussetzungen von Weingärten üblich ist – verschiedene Parzellen auf der Anhöhe erfaßt. Innerhalb von 15 Jahren gelang es mehr als 1200 m² wissenschaftlich zu untersuchen.
Nach drei Grabungskampagnen wurde im Jahre 1988 auf einem Grundstück des Stiftes Kremsmünster eine kleine menschliche Statuette gefunden, die – nach dem derzeitigen Forschungsstand – die älteste durch den Homo sapiens gefertigte menschengestaltige Steinplastik der Welt ist.
Fragen und Antworten
Die Ausgrabungen selbst sind nur ein kleiner, wenn auch wesentlicher Teil zur Lösung der Fragen nach Alter und Art der Ansiedlung. Selbst kleinste Spuren und jedes einzelne Artefakt müssen sorgfältig freigelegt und vermessen werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung beschränkt sich nicht nur auf die Dokumentation der archäologischen Funde wie etwa der Steingeräte, sondern ein ganzer Komplex von naturwissenschaftlichen Untersuchungen ist notwendig, um Zeit- und Naturraum – und damit den menschlichen Lebensbereich – zu rekonstruieren. So gewinnt man etwa aus den Holzkohlen der ehemaligen Lagerfeuer sowohl Informationen zur Vegetation, aber vor allem auch mittels Radiokarbondatierung das absolute Alter. Aus den Sediment-, Pollenanalysen und Molluskenuntersuchungen leitet man die Klimageschichte, aus den Tierknochenresten Jagdwild und -gewohnheiten ab.
Der Zeitabschnitt
Die altsteinzeitlichen Hinterlassenschaften am Galgenberg zeigen, daß er zwischen 33.000 und 28.000 Jahren vor heute immer wieder zu kurzfristigen Jagdaufenthalten genutzt wurde. Zumindest einmal, vor rund 32.000 Jahren, schlug man aber auch ein längerdauerndes, wahrscheinlich einige Wochen genutztes Quartier hier auf. In der uns interessierenden Zeit fand klimatisch eine allgemeine Abkühlung statt. Während in den Jahrtausenden zuvor, in denen wir erstmals dem Homo sapiens in Niederösterreich begegnen (ca. 40/35.000 vor heute), es durchschnittlich etwas wärmer war als heute und Mischwälder das Landschaftbild prägten, führte die Abkühlung zu einer Lößsteppe, die lediglich durch Baumgruppen gegliedert wurde.
Pflanzen
Den Pflanzenbewuchs kann man sowohl anhand von Holzkohlen oder Pollen bestimmen, als auch aus den Schneckengemeinschaften darauf rückschließen.
Die Bewohner des Galgenberges verwendeten als Brennmaterial Lärchen- und Kiefernholz. Von diesen wurden frische Äste gesammelt, nur selten auch Leseholz verbrannt. Diese Arten müssen offensichtlich reichlich zur Verfügung gestanden haben.
Auch als Pollen lassen sich diese Nadelhölzer nachweisen. Dazu kommen verschiedene Gräser und Kräuter, wie sie für eine Lößsteppe typisch sind. Aus dem Paläoboden der untersten Fundschichte (älter als 32.500 Jahre) stammen weiters Farne und Moossporen sowie der Nachweis von Laubholz wie Birken und Erlen.
Tiere
Typische Bewohner dieser Lößsteppe waren die eiszeitlichen Großsäugetiere wie das Mammut und das Wollnashorn. Am Galgenberg wurden beide Riesen der Eiszeit erlegt, wie sich durch Beckenknochen eines Wollnashorns und Zähne von Mammut zeigen läßt. Am häufigsten jedoch wurden Rentiere, Wildpferden und Riesenhirsche gejagt. Leider hat das nachfolgende feuchte Klima die an der Oberfläche liegen gebliebenen Knochenreste hierorts weitgehend zersetzt. Zartere Knochen oder kleineres Jagdwild, wie etwa Schneehase, Eisfuchs, Schneehuhn oder der Vielfraß ließen sich dadurch am Galgenberg praktisch nicht nachweisen.
Wirtschaft
Die Menschen waren Wildbeuter, das bedeutet ihre Wirtschaftsform war ausschließlich eine aneignende und bestand aus Sammeltätigkeit und Jagd, wobei bestimmte Tiere bevorzugt wurden. Während die wohl vorwiegend von den Frauen gesammelten Kräuter, Beeren und Wurzeln als organische Reste längst vergangen und archäologisch nur in seltenen Fällen nachweisbar sind, verblieben im Bereich von Feuerstellen die Knochen des hier zerlegten Jagdwildes. Die gesamten Bestandteile des Körpers wurden verwertet: Fleisch, Fett und Knochenmark als Nahrung, Sehnen für Fäden und Schnüre, das Fell für Kleidung und Behausung, die Knochen für Waffen, Werkzeuge, aber auch als Feuermaterial.
Alles aus Stein?
Das Fundgut besteht zum größten Teil aus Steinartefakten, da bedingt durch das Bodenmilieu sich in nur seltenen Fällen Knochen erhalten haben. Sicherlich wurden hier so wie an anderen Lagerplätzen auch aus den Stangen von Rentieren Geschoßspitzen gefertigt und aus gespaltenen Langknochen Pfrieme zur Lederbearbeitung zugerichtet. Eine ganze Reihe von Geräten wurde sicherlich aus Holz geschnitzt, doch sind diese organischen Materialien – ebenso wie Kleider, Leder und Geflechte nicht erhalten geblieben. Lediglich Dentaliumröllchen – Gehäuse von Weichtieren – sind gefunden worden, die als Kette oder auf einem Gewand aufgenäht, als Schmuck gedient hatten.
Steingeräte
Feuersteine, Radiolarite, Hornsteine und andere siliciumhältige Gesteine, die von den Archäologen unter dem Hilfsbegriff „Silices“ zusammengefaßt werden, weisen bestimmte Spalteigenschaften auf, die sich der prähistorische Mensch zu Nutze machte.
Die Bewohner des Galgenberges sammelten ihre Knollen zur Werkzeugherstellung sowohl aus den Schottern des Galgenberges als auch aus den Flußbetten von Donau und Krems. Dadurch dominieren unter den Rohmaterialien qualitativ mäßige Kleselschiefer und Chalzedone. Ein wesentlicher Teil der feineren Geräte ist jedoch aus weißem bzw. weiß patiniertem, aus Mähren stammenden Silex gefertigt.
Werkzeuge
Die meisten der Geräte muß man sich mit Schäftungen aus Holz oder auch Knochen vorstellen, es handelt sich also nur um entsprechende Werkzeugeinsätze. So sind die einfachen Klingen als Messer in Verwendung gestanden, die Schaber und häufig vorhandenen Kratzer leisteten beim Häuten und der Fellbearbeitung ihre Dienste. Die sogenannten Stichel hingegen dürften vorwiegend zum Schnitzen besonders geeignet gewesen sein. Unmengen von Nachschärfungen zeugen von der intensiven Nutzung dieser Formen.
Rekonstruktion
Durch die bestimmten Spalteigenschaften entstehen gleichartige Merkmale an den Abschlägen, die ein Wiederaneinanderfügen eines zerlegten Knollens ermöglichen. Zusammensetzversuche am Steinmaterial der einzelnen Feuerstellen lieferten überraschende Ergebnisse: Von dem auf ca. 6000 Stück (ohne Absplisse) geschätzten Fundmaterial konnten nahezu 1000 Stücke auf- bzw. aneinandergepaßt werden. Dieser hohe Prozentsatz alleine läßt schon auf hervorragende Erhaltungsbedingungen innerhalb dieser Siedlung schließen. Am wichtigsten für den Nachweis einer weitflächigen, im Großen und Ganzen gleichzeitigen Ansiedlung ist jedoch die gelungene Verknüpfung von 5 verschiedenen Feuerstellen, die mehr als 90 Meter auseinanderlagen.
Feuerstellen als Zentrum
Im Verlaufe der Ausgrabungen 1985 – 2000 konnten insgesamt auf rund 1200 flächig untersuchten Quadratmetern ca. 15 Feuerstellen festgestellt werden. Die markantesten sind jene mit einer Steinumstellung, die die Hitze reflektieren sollte. Klar faßbar sind auch noch zwischen einem halben und einem dreiviertel Meter große Feuerstellen unbefestigter Art, die leicht eingetieft gewesen sein können, oberflächlich Reste von Holzkohle und eine mäßig in die Tiefe reichende Verziegelung aufweisen.
Kochen an der Feuerstelle
In mehreren Fällen konnte angrenzend an eine Feuerstelle ein kleines Grübchen festgestellt werden, das wohl zum Kochen diente. Dabei wurde die ca. 30 cm große Grube mit Leder ausgekleidet und das eingefüllte Wasser mittels an der Feuerstelle erhitzter Kiesel zum Sieden gebracht. Derartige rot verfärbte, von der Hitze splittrig gewordene Steine konnten in größerer Zahl gefunden werden. Sekundär gelangte Abfall und Schutt in die Grübchen.
Behausung
Die mit Abstand größte dieser Feuerstellen hatte rund einen Meter Durchmesser und war Zentrum einer ca. 5×5 Meter großen Fundstreuung, an dessen Rand auch die Statuette gefunden wurde (1988-90). Auffällig war dabei, daß sich innerhalb des Steinkreises keine Holzkohle befand, dafür das Sediment in bis zu 30 cm Tiefe durch die Hitze rot verziegelt war. Die wiederholte Auslagerung der Holzkohle ist an verschiedenen Plätzen der Umgebung jeweils zu verfolgen. Somit handelt es sich sicherlich um länger in Verwendung gestandene Feuerstellen.
Vier weitere, in einer Reihe quer zum Hang gelegene Grübchen dürften Reste der Standspuren einer Überdachung darstellen, die wir uns als Holzkonstruktion mit Felldeckung vorstellen können.
Die Grabungsleitung dankt den zahlreichen Mitarbeitenden:
Sedimentanalysen: Ass.Prof. Univ.Doz. DDr. Spyridon Verginis, Ass. Prof. Mag. Dr. Robert Peticzka, Christa Hermann, MMag. Monika Krammer, Institut für Geographie der Universität Wien
Pollenanalysen: Prof. Dr. Brigitte Urban (Fachhochschule Nordostniedersachsen, Suderburg) und Barbara Albrecht (Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen)
Holzanalysen: Dr. W. H. Schoch, Labor für Quartäre Hölzer, Adliswil, Schweiz
Gesteinsuntersuchung: Dr. Michael Götzinger, Institut für Mineralogie und Kristallographie der Universität Wien, Mag. Michael Brandl, Österreichische Akademie der Wissenschaften.
Radiokohlenstoffdatierungen: Labors von Groningen, Köln, Zürich und Wien.
Faunenreste: Univ. Prof. Dr. Gernot Rabeder und Dr. Florian Fladerer, Institut für Paläontologie der Universität Wien
Weichtierfaunen: Univ. Doz. Dr. Christa Frank und Marion Niederhuber, Institut für Paläontologie der Universität Wien
Zusammensetzungen der Steingeräte: Dr. Gerd Albrecht und zahlreiche Studenten des Institutes für Ur- und Frühgeschichte, Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen, sowie Studenten des Institutes für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien und des Arbeitskreises Paläolithikum der Österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte.
Wissenschaftliche Bearbeitungen der Steingeräte: Mag. Sandra Mayer, ÖAW Wien, PD Philip Nigst, MPI Leipzig/Universität Cambridge, Dr. Luc Moreau, RGZM Monrepos.